Mit 20 Jahren Konditormeisterin, die jüngste ihrer Innung in der DDR.Die Frau fürs Feine
Ganz viel Energie und eine große Leichtigkeit strahlt Janet Riemenschneider aus, so wie sie da im Pausenraum ihrer Bäckerei sitzt und von ihrer Arbeit berichtet.
2.30 Uhr hat ihr Arbeitstag begonnen, sie war in der Backstube im Einsatz und hat dann Brot, Brötchen und Kuchen für die Auslieferung verpackt. 6 Uhr standen die ersten Kunden im Laden am Stammsitz in Darlingerode. „Bei uns geht alles Hand in Hand. Ich bin immer der Lückenfüller. Da, wo Hilfe gebraucht wird, fasse ich mit an“, sagt die 49-Jährige und sieht nach acht Arbeitsstunden kein bisschen müde aus. Ihr Arbeitstag ist ja auch noch nicht zu Ende. Nachmittags kümmert sie sich ums Unternehmerische.
Janet Riemenschneider hat das Backen im Blut. 1893, also vor 125 Jahren, eröff nete ihr Ururgroßvater August Moritz eine Bäckerei in Darlingerode. Dessen Sohn Herman Moritz buk 1931 am heutigen Standort in der Dorfstraße das erste Brot. 1952 übernahm Schwiegersohn Otto Riemenschneider, 1983 dessen Sohn Rainer Riemenschneider gemeinsam mit seiner Frau Doris. Seit 2010 ist deren Tochter Janet Riemenschneider Inhaberin der Bäckerei und Konditorei.
Etwas anderes kam für sie niemals infrage. Schon mit drei Jahren, so ist es in der Familie überliefert, bekundete Janet Riemenschneider ihr Interesse an einer Führungsposition. „Ich werde mal Chefin“, soll sie zu ihrem Opa Otto gesagt haben. So selbstverständlich war das für sie, dass sie sich in der Schule über die bloße Frage nach der beruflichen Zukunft wunderte, während ihre Mitschüler keinen Plan hatten. Als Achtklässlerin machte sie ihre erste Torte, aus Biskuit und Buttercreme. Die Konditorei hatte es ihr angetan. „Ich bin für das Feine“, sagt die zarte Frau und strahlt. Ihre Ausbildung im VEB Backwaren Wernigerode schloss sie nach der Hälfte der Lehrzeit ab. Die praktische Prüfung wurde ihr erlassen. Gelernt ist gelernt. Mit 20 Jahren war sie Konditormeisterin – die jüngste ihrer Innung in der DDR.
Die politische Wende und die damit einhergehende neue Vielfalt im Lebensmittelangebot machte in der Bäckerei eine Neuorientierung erforderlich. Der Stammsitz wurde umgebaut und um Filialen und Verkaufswagen erweitert. Hotels und Seniorenheime kamen als Kunden dazu. Mitarbeiter wurden eingestellt, das Sortiment vergrößert. Mit Erfolg: Der Laden läuft. Das liegt an der Qualität der Produkte, am Brot aus Natursauerteig etwa, an den Brötchen nach DDR-Rezeptur aus dem Ofen von 1983 oder an den kunstvollen Hochzeitstorten. Aber auch an der über Generationen weitergegebenen Geschäftstüchtigkeit der Familie Moritz/Riemenschneider.
20 Mitarbeiter hat Janet Riemenschneider derzeit in ihrem Team, mehr sollen es nicht werden. „Das ist die ideale Größe, auch in Hinblick auf Investitionen“, sagt die Chefin. Dass es personell eines Tages nicht mehr so hervorragend läuft wie im Moment, ist ihre größte Sorge. In der Branche tun sich bereits erste Fachkräftelücken auf. Janet Riemenschneider wirkt mit Ausbildung dagegen. Einen Bäcker und eine Konditorin hat sie gerade in der Lehre. Ihre eigenen beiden Söhne gehen beruflich andere Wege. Dass der Familienbetrieb eines Tages möglicherweise in andere Hände übergeht, ist für sie in Ordnung.
Anja Gildemeister