500 Jahre nach der Reformation stellen wir Handwerker vor, die in, an oder für Kirchen arbeiten.Handwerk & Kirche
Teil 1 - Paramentikerin Gudrun Willenbockel aus Magdeburg
Um die häufigste Frage gleich zu Beginn zu beantworten: Paramente sind Textilien, die der Gestaltung von sakralen Räumen dienen und im Gottesdienst zum Einsatz kommen. Zu den Paramenten gehören das Antependium (ein Behang an Altar, Kanzel und Lesepult), die liturgische Stola (für den Pfarrer), die Altardecke und die Abendmahlstücher.
Paramentikerin mit Leib und Seele ist Gudrun Willenbockel aus Magdeburg. Geboren 1960 im thüringischen Schleiz als Tochter eines Pfarrers, wuchs sie in Bellingen in der Altmark auf. Schon seit 1977 übt sie ihr Handwerk auf dem Gelände der Pfeifferschen Stiftungen aus, wo sie die Ausbildung zur Paramentikerin in der Werkstatt des Diakonissenhauses Bethanien absolvierte. Bis 1999 war sie dort angestellt. Im selben Jahr legte sie die Meisterprüfung im Handwerk der Sticker ab. Am 1. Januar 2000 überführte Gudrun Willenbockel die von der Schließung bedrohte kirchliche Werkstatt in ein Handwerksunternehmen und wurde ihr eigener Chef.
Bis heute ist die temperamentvolle Frau mit dieser Entscheidung glücklich. Ihre Kunden sind die Vertreter der christlichen Kirchen. Sie finden Gudrun Willenbockel über das Internet oder per Empfehlungsmarketing. Bei Ortsterminen tastet sich die Meisterin an den Auftrag heran. Sie ergründet den Kirchenraum, und im persönlichen Gespräch mit den Auftraggebern versucht sie, die Vorstellungen hinsichtlich der Farben und der Art der Gestaltung zu erspüren. „Paramente haben einen Verkündigungsauftrag“, betont sie.
Die Richtung gibt dabei der liturgische Farbkanon vor, der Farben eine Bedeutung zuordnet und sie für bestimmte Zeiten und Feste des Kirchenjahres empfiehlt. Grün steht für Lebendigkeit, Rot für das leidenschaftliche Feuer des Heiligen Geistes, Weiß erinnert an die großen Feste Ostern und Weihnachten, Violett an Buße und Trauer. Auf dieser Grundlage erarbeitet Gudrun Willenbockel Vorschläge. „Die Aufgabe heutiger Paramentik besteht darin, überlieferte biblische Wahrheiten und Glaubenserfahrungen in eine heutige, zeitgemäße Farbund Formensprache zu übertragen“, heißt es auf Gudrun Willenbockels überaus informativer Internetseite.
Ist der Entwurf freigegeben, macht sie sich pedantisch ans Werk. Mit Gobelin-Weberei, Stickerei und verschiedenen Nähtechniken entstehen Arbeiten mit künstlerischem Anspruch in hoher handwerklicher Qualität. Am liebsten webt sie Gobelins. Mehr als 100 Stunden sitzt sie an so einem Bildteppich und erlebt dabei regelmäßig das, was Psychologen den „Flow“ nennen, das völlige Abtauchen in eine Tätigkeit, einen beglückenden Schaffensrausch. „Das ist toll“, schwärmt sie und ihre braunen Augen leuchten. Man merkt: Sie brennt für ihr Handwerk.
So war es auch bei dem Altarbehang für die Kirche St. Marien in Kemberg bei Wittenberg, in der Martin Luther einige Male predigte und wo er in der Nacht vor seiner Beisetzung aufgebahrt wurde. Vor einigen Jahren machte ein Feuer die Erneuerung des Altarraums erforderlich. Der Glasgestalter Günter Grohs aus Wernigerode fertigte die Chorfenster, der österreichische Maler Arnulf Rainer das Kreuz. „Ein kongeniales Ensemble“, sagt Gudrun Willenbockel und, dass es eine große Ehre für sie gewesen sei, die Paramente beizusteuern. Hat sie beim Weben an Luther gedacht? „Ich denke immer an Luther. Er hat mir schließlich die Bibel übersetzt. Seine Aussagen zu Freiheit und Gnade sind grundlegend für mich“, sagt die Christin Gudrun Willenbockel, die auch Kirchenmusikerin ist. Und gegen Paramente habe Luther ja schließlich nicht gewettert, fügt sie lächelnd an.
Im Reformationsjubiläumsjahr kommt das Kemberger Antependium nun ganz groß raus: Es wird im Mai bei einem der Eröffnungsgottesdienste des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Berlin und beim Festgottesdienst in Wittenberg eingesetzt. „Das macht mich schon etwas stolz“, sagt Gudrun Willenbockel und ist gespannt, wie das Textil in „fremder Umgebung“ zur Geltung kommt. (ag)
Kontakt: www.textil-werkstatt.de
Teil 2 - Steinmetz Peter Beneke aus Magdeburg
Teil 3 - Baudenkmalpfleger Christian Lellau aus Hoppenstedt
Teil 4 - Maurer Dirk Rothe und Dachdecker Norbert Augner aus Rieder
Teil 5 - Metallbauer Bernd Falke aus Klein Schwechten
Teil 6 - Glaserin Andrea Wilde aus Groß Schwarzlosen
Teil 7 - Buchbinderin Sylvia Juhl aus Salzwedel
Teil 8 - Orgel- und Harmoniumbauermeister Johannes Hüfken aus Halberstadt